Eine Form von Gewalt im Namen der Ehre
Zwangsheiraten und Frühehen stellen schwere Verletzungen der Menschenrechte dar, die gegen internationales und nationales Recht aller europäischen Staaten verstoßen. Sie lassen sich nicht auf bestimmte religiöse Traditionen zurückführen, sondern kommen in unterschiedlichen sozialen, ethischen und kulturellen Kontexten überall auf der Welt und auch in Deutschland vor. Zwangsheirat verletzt die Menschenrechte der Betroffenen und beraubt sie ihres Rechtes, selbst zu entscheiden, ob, wann und wen sie heiraten. Damit stehen sie in krassem Gegensatz zu den wichtigsten Grundwerten, wie der Gleichstellung von Frauen und Männern und den Kinderrechten.
Zwangsheiraten und Ehrenmorde gehen oft andauernde physische und psychische Gewalt bzw. Gewaltandrohungen voraus, um die vermeintliche Familienehre zu schützen bzw. wieder herzustellen. Bei den Betroffenen handelt es sich zumeist um minderjährige Mädchen und Frauen. Es sind jedoch auch Jungen bzw. Männer davon betroffen. Sie gehen oft einher mit einer Einschränkung der persönlichen Entwicklung, der Verweigerung von Bildung, Berufsausübung und materieller Unabhängigkeit.
Am häufigsten sind die Eltern verantwortlich für eine Zwangsehe. Gewalt wird in der Regel durch die Familienmitglieder ausgeübt. Eine Abgrenzung zu arrangierten Ehen ist schwierig, ein Gradmesser kann das Ausmaß der erlebten Gewalt sein.
Zwangsheiraten und Frühehen sind in Deutschland nicht erlaubt und steht unter Strafe. Neben kulturellen Ursachen spielt oftmals auch die finanzielle Lage der Familie der Braut eine erhebliche Rolle. Siehe https://www.anwalt.org/zwangsheirat/.
Eine Zwangsheirat liegt vor, wenn
- eine Ehe ohne die freiwillige und gültige Einwilligung eines oder beider Partner geschlossen wird
- die Eltern oder die Familie entscheidet, wer miteinander verheiratet wird
- es nicht gefragt wird, wen jemand heiraten will bzw. die Zustimmung verweigert wird
- Druck ausgeübt wird, physische und/oder psychische Gewalt angewendet wird, um die Eheschließung zu erzwingen
Eine Frühehe/Kinderehe liegt vor, wenn
- Die Eheschließung vor Vollendung des 18. Lebensjahres eines oder beider Partner erfolgt
- häufig liegt dabei ein großer Altersunterschied zwischen dem minderjährigen Mädchen und dem erwachsenen Partner vor
Eine Zwangsehe liegt vor, wenn
- durch Sanktionen, insbesondere von den Familien, eine Fortführung der Ehe erzwungen wird, die ein Partner nicht aufrechterhalten will
- das gilt auch, wenn die Ehe freiwillig geschlossen wurde
Eine arrangierte Ehe liegt vor, wenn
- die Heirat zwar von Verwandten, Bekannten oder Ehevermittler_innen initiiert wird und dies im vollen Einverständnis beider Partner geschieht
Eine Zwangsehe mit einer Importbraut bzw. einem Importbräutigam liegt vor, wenn
- ein hier geborenes und aufgewachsenes Mädchen mit einem Jungen aus ihrem Herkunftsland verheiratet wird, um ihm den Aufenthalt in Deutschland zu ermöglichen
- ein hier geborener und aufgewachsener Junge mit einem Mädchen aus seinem Herkunftsland verheiratet wird, da es – meist eine Verwandte – besser zur Familie passt als eine hier aufgewachsene junge Frau
- und sie sich vorher nicht oder nur flüchtig kennen
- und das Mädchen oder der Junge meist ohne nennenswerte Sprach- oder Kulturkenntnisse in die Schwiegerfamilie kommt
- sie sich unterordnen müssen und abhängig von ihnen bis dahin mehr oder weniger unbekannten Menschen sind
Eine Verschleppungsehe liegt vor, wenn
- ein Mädchen während eines Urlaubes im Herkunftsland mit einem jungen Mann verheiratet wird und dort bleiben muss,
- sie vorher darüber nicht informiert war
- ihr der Pass abgenommen wird, damit sie nicht ausreisen kann
Motive für Zwangsheirat
Gewalt im Namen der Ehre wird durch geschlechtsspezifische Ungleichheit erst ermöglicht. Sie begründet sich in Traditionen, denen eine Diskriminierung von Mädchen und Frauen immanent ist. Daraus leiten sich nachfolgende Motive ab:
- Probleme mit der Erziehung, Kontrolle über unerwünschtes Verhalten/Sexualität der Kinder
- Verhinderung von unerwünschten Beziehungen der Kinder
- Wunsch nach ökonomischer Absicherung des eigenen Kindes
- Wunsch nach Absicherung eines behinderten Kindes
- Bewahrung von Familienehre und Tradition
- Einhaltung familiärer Verpflichtungen/Eheversprechen
- Stärkung von Familienbindungen
Motive bei weiblichen minderjährigen Geflüchteten (Mädchenhaus Bielefeld)
- Zwangsverheiratung im Herkunftsland bzw. Flucht aus einer Gewalt geprägten Frühehe
- Zum Teil fand eine Zwangsbeschneidung statt
- Als jüngste Frau neben anderen Frauen leben à neben Gewalt des Mannes noch der Gewalt der älteren Frauen ausgesetzt sein (Mehrehen)
- Aus Furcht vor Vergewaltigung bzw. sexuellen Übergriffen vor oder während der Flucht eine „Schutzehe“ eingehen müssen
- Auftrag der Familie in Deutschland einen ihnen fremden volljährigen Mann zu heiraten, um die Familie finanziell zu unterstützen
- Flucht mit einem geliebten, etwas älteren volljährigen Mann, der von der Familie nicht akzeptiert wird
- Mädchen kommen über die Prostitution bzw. Zwangsprostitution nach Deutschland
Folgen von Zwangsheirat
Mädchen drohen durch andauernde schwere Gewalterfahrungen und des sich hilflos ausgeliefert Fühlens massive gesundheitliche Beeinträchtigungen und fehlende Entfaltungsmöglichkeiten.
- Mädchen sind in einer Frühehe besonders gefährdet, sexualisierte und/oder häusliche Gewalt und Vergewaltigung in der Ehe zu erleben
- Traumatisierende Entwicklungsbedingungen haben gravierende Auswirkungen auf ihre Bindungs- und Beziehungsfähigkeit
- Sie leiden oft unter Ausgrenzung, die zu Depressionen bis hin zum Selbstmord führen können
- Viele Betroffene dürfen keine Schule besuchen und sind in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt
- Sie werden jung schwanger, was das Risiko für Mutter und Kind erhöht.
- Sie haben es sehr schwer, sich aus ihrem auf Unselbständigkeit und Abhängigkeit ausgerichteten Lebensumfeld zu lösen